Ein Beitrag des ehemaligen Direktors Ulrich Korwitz zum 50jährigen Jubiläum von ZB MED am 3. Juli 2023
Ein Hauptimpuls für die Ausweitung der Forschung in Medizin und Naturwissenschaften war der Sputnikschock im Jahre 1957. Die Sowjetunion hatte als erste Nation einen Satelliten gestartet, die westliche Welt war geschockt. Die Politik erkannte, dass massiv Mittel für die Forschung eingesetzt werden mussten, um in der westlichen Welt wieder an die Spitze der Forschung zu kommen. Dazu gehörten auch Literatursammlungen als Basis für Forschung.
Es war also kein Zufall, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft schon damals erkannt hatte, dass es sinnvoll ist, in vier Fachgebieten (Medizin/Gesundheitswesen, Landbauwissenschaften, Technik/Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften) Zentralbibliotheken zu errichten, da es nicht möglich und finanzierbar ist, an allen Hochschulstandorten in Deutschland Literatur und Informationsquellen dieser Fächer umfassend zu sammeln. Zudem bestand ein hoher Bedarf Dritter, vor allem der Industrie, Kopien von Literatur aus Zeitschriften und Büchern im Direktversand zu erhalten. Darauf waren Hochschulbibliotheken nicht eingestellt. Die DFG förderte die Medizinische Abteilung der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln als Vorläufer von ZB MED mit erheblichen Mitteln mit Medizin als Sondersammelgebiet und verstärkt bis in die 70er Jahre. 1972 erreichte das Ministerium für Wissenschaft und Forschung NRW, ZB MED in die Liste der nach dem Königsteiner Abkommen von Bund und Ländern zu finanzierenden Einrichtungen aufzunehmen.
Die „Zentralbibliothek der Medizin“, so hieß ZB MED früher, wurde heute vor 50 Jahren, am 3.7.1973, schließlich mit einer Satzung versehen und offiziell gegründet.
Der erste Direktor von ZB MED, Herr Dr. Kühnen, hat ZB MED, aus kleinen Anfängen hin zu einer national und international bedeutenden Bibliothek mit nationalbibliothekarischen Aufgaben entwickelt. Von ihrer Gründung an gehörte ZB MED zu den konzeptionell und technologisch führenden Bibliotheken in der Bundesrepublik. 1977 wurde das erste Terminal für medizinische Literaturrecherchen (über das DIMDI) installiert, so dass Nutzerinnen und Nutzern die mühsame Recherche in gedruckten Bibliographien erspart wurde. 1978 stellte Herr Kühnen die komplette Katalogisierungsarbeit auf EDV im Katalogisierungsverbund NRW um – eine mutige Entscheidung in diesen Anfangsjahren der EDV.
In meiner Zeit ab 1987 folgten technologische Neuerungen wie Literaturrecherchen auf CD-ROM und die Teilnahme am Literaturbestellsystem des Deutschen Bibliotheksinstituts Berlin, des DIMDI und des Fachinformationszentrums Karlsruhe sowie die sehr erfolgreiche Einführung eines Telefax-Versandsystems für Literaturkopien. Die Anfangsgründe der elektronischen Literaturversorgung großer medizinischer Verlage (ADONIS-System per CD-ROM) wurden gestaltet. Solch ein System hatten in Deutschland nur ZB MED und TIB. Für die Zukunft von ZB MED entscheidend war die Planung des Neubaus von ZB MED Köln ab 1993. In ihr wurden bisher getrennt agierende Arbeitsbereiche mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammengeführt und die Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert. Seit den 80er Jahren war ZB MED die Bibliothek mit der höchsten Zahl an Literaturlieferungen in Mitteleuropa (2.500 Artikellieferungen pro Arbeitstag) und dem weltweit zweitgrößten Bestand an Zeitschriften und Monographien ihrer Fächer.
Und dies blieb so, wobei die Literaturlieferungen bald in digitalisierter Form erfolgten. 2001 kam es zu einer Ergänzung des Fächerspektrums durch Integration der ehemaligen Deutschen Zentralbibliothek der Landbauwissenschaften nach einer Empfehlung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, der heutigen GWK. ZB MED hatte fortan zwei Standorte: Köln und Bonn. Beide arbeiteten effektiv zusammen. Damit war erreicht, dass das Gesamtspektrum „Lebenswissenschaften“ abgedeckt werden konnte.
Literatursammlung, -erschließung und -bereitstellung blieben bei weitem nicht die einzigen Aufgabengebiete von ZB MED. Eine Vielzahl von Projekten folgte. Hier exemplarisch nur vier: der Aufbau der virtuellen Fachbibliotheken mit semantischer Recherche unter den Namen MEDPILOT und GREENPILOT, später zusammengeführt in LIVIVO – bis heute existent – , das Open-Access-Publikationssystem „GMS – German Medical Science“ mit 16 laufenden wissenschaftlichen Fachzeitschriften und jährlich bis zu 45 Kongresspublikationen – bis heute existent – , das Open-Access-Portal „Eyemoviepedia“ mit Operationsvideos in der Ophthalmologie – heute im Fachrepositorium Lebenswissenschaften – sowie Abschlüsse von Nationallizenzen für Periodika und Monographiensammlungen für alle Hochschulnutzerinnen und -nutzer – bis heute nutzbar.
ZB MED hatte satzungsgemäß immer schon die Aufgabe, solche anwendungsorientierten Forschungsprojekte durchzuführen. Ab 2014 zeigte es sich, dass diese Aufgabe von immer größerer Bedeutung wurde. Die Leibniz-Gemeinschaft, in der ZB MED Mitglied war, verlangte ein Forschungskonzept und eine hauptamtliche Führung durch einen Hochschullehrer oder eine Hochschullehrerin. Da traf es sich gut, dass ich mich 2016 – nach Verselbständigung von ZB MED in einer Stiftung öffentlichen Rechts – dem Ruhestand näherte und dieser Wunsch baldmöglichst verwirklicht werden konnte.
DOI (Digitalausgabe): https://doi.org/10.48664/7n54-em17
________________________________________________________
Einen Blick zurück in Bildern auf 50 Jahre ZB MED liefert der Imagefilm reloaded:
Pingback: Die Grenzen des Möglichen verschieben oder: Ein Jubiläum kommt selten allein – ZB MED-Blog