Ein Gastbeitrag von Hilda Bastian.
Der Beitrag ist im englischen Original am 14. Mai 2025 unter dem Titel Germany’s Plan for an Open and Independent PubMed Safety Net auf der Plattform Absolutely Maybe – PLOS Blogs erschienen.
Vor einigen Monaten schrieb ich über die Gründe zur Besorgnis über die Zuverlässigkeit von PubMed unter der neuen Leitung des National Institutes of Health (NIH). PubMed ist eine wichtige biomedizinische Literaturdatenbank mit einer Reihe damit verbundener Dienste. Sie wird von einem der Institute der NIH, der US National Library of Medicine (NLM), erstellt. Ich hatte mehrere Fragen aufgelistet: Könnte PubMed häufiger und für längere Zeit ausfallen? Könnte es sein, dass die Dienste nicht mehr kostenlos sind? Wie könnten die Qualität und Zuverlässigkeit der Dienste außerdem beeinträchtigt werden? Könnte eine Flut von minderwertiger Wissenschaft (Junk Science) einströmen, falls (wenn?) die NLM kein zuverlässiger Gatekeeper mehr ist?
Wenn es nur kurzfristige Probleme bei der Bereitstellung der Dienste gibt, können wir gut auf Europe PMC ausweichen – aber wir bräuchten mehr als das, wenn PubMed ernsthaft beinträchtigt wäre. (Mehr darüber und über einige der technischen Probleme, die ich weiter unten erörtere, können Sie in meinem früheren Beitrag lesen).
Jetzt hat sich Deutschland dieser Herausforderung gestellt. Am 2. Mai kündigte die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) an, dass sie eine „offene, zuverlässige und nachhaltige“ Alternative zu PubMed entwickeln wolle. Und heute fand ein offenes virtuelles Treffen statt, um die Pläne für eine „resiliente und unabhängige Forschungsinfrastruktur für die Lebenswissenschaften“ zu diskutieren.
Die Veranstaltung war beeindruckend – moderiert von Eva Seidlmayer, mit einführenden Beiträgen der Projektleitenden Miriam Albers und Konrad Förstner sowie einer lebhaften Q & A-Runde. Der Vortrag wurden aufgezeichnet [1] und wird zusammen mit einer Zusammenfassung der Fragerunde [2] online gestellt mit Übersetzungen ins Englische. Diese erste Veranstaltung war auf Deutsch: Ein englisches Meeting soll in ein paar Wochen organisiert werden, wenn Interesse besteht.
Da ich bei PubMed gearbeitet habe, habe ich eine gewisse Vorstellung davon, wie komplex es sein würde, PubMed zu „ersetzten“. Ich war hoffnungsvoll, aber auch ein wenig besorgt, um ehrlich zu sein. Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen! Was sie tun, ist sicherlich ambitioniert, aber es ist sowohl verantwortungsvoll als auch beeindruckend.
Die große Vision besteht darin, von der Abhängigkeit von den Investitionen eines einzelnen Landes in diese grundlegende Infrastruktur der Lebenswissenschaften wegzukommen: Es geht weder um eine doppelte, parallele Infrastruktur in Deutschland, noch darum, einfach ein zentralisiertes System aus den USA nach Deutschland zu verlegen. Das Ziel ist ein vollständig quelloffenes, föderiertes Sicherheitsnetz, das in die internationale Community eingebettet ist und über ein starkes globales Unterstützungsnetzwerk verfügt. Wenn PubMed in seiner jetzigen Form untergeht, dann könnte dieses „PubMed 2.0“ die Aufgabe übernehmen. Und wenn PubMed weiterbesteht, dann würden Teile der Entwicklung sowohl der NLM als auch anderen Diensten zur Verfügung stehen.
Alle hoffen natürlich, dass es keinen Notfall geben wird. Aber da die wissenschaftliche Community das Vertrauen in die Sicherheit der zentralisierten US-Infrastruktur verloren hat, ist ZB MED eingesprungen, um die Basisinfrastruktur auf den Weg zu bringen und gleichzeitig ein internationales Netz aufzubauen.
Während die Nutzung von PubMed frei ist, ist PubMed selbst nicht Open Source. ZB MED hat ein 18-monatiges Projekt angekündigt, um die grundlegenden Funktionen der Literaturdatenbank per Reverse Engineering aufzubauen und sie vollständig Open Source zur Verfügung zu stellen, so dass bei Bedarf ein vollständiger „PubMed 2.0“-Service entwickelt werden kann. Die Grundlagen, die sie zunächst aufbauen, sind der aktuelle Bestand, die tägliche Bereitstellung von Metadaten für neue Literatur, MeSH (die Medical Subject Headings zur Anreicherung der Literatur) und einige der API-Programme, auf die Forschende und andere Dienste angewiesen sind.
Plan A besteht darin, das derzeitige Modell mit den von den Verlagen übermittelten Daten, einschließlich der Abstracts, nachzubauen. Plan B ist ein Rückgriff auf CrossRef-Metadaten, die für etwa 90 % der derzeit in PubMed vorhandenen Daten verfügbar sind. In dem 18-monatigen Aufbauprozess wird an beidem gearbeitet. ZB MED hat ein offenkundiges Gespür für die Sorgen der Community, plötzlich auf dem Trockenen zu sitzen: Sie bemühen sich mit Hochdruck darum, so schnell wie möglich einen Notfallersatz zur Verfügung zu haben, auch wenn es sich dabei notgedrungen nur um einen einfachen schnörkellosen Basis-Service handeln würde.
In Zusammenarbeit mit der Bibliotheks- und Wissenschaftscommunity will ZB MED so bald wie möglich eine „Beta“-Version veröffentlichen, damit getestet und darauf reagieret werden kann. Das Informationszentrum fängt nicht bei Null an. ZB MED betreibt bereits LIVIVO, ein Suchportal für die Lebenswissenschaften, macht die deutsche Übersetzung des MeSH und vieles mehr. Sie behalten PubMed genau im Auge und monitoren die Änderungen an PubMed und MeSH.
Einer der vielversprechenden Wege, den dieses Projekt einschlägt, ist auch das Überwinden der Begrenzung von PubMed auf die englische Sprache. ZB MED könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten – selbst dann, wenn PubMed niemals gefährdet wäre.
Neben der Entwicklung des Open-Source-Sicherheitsnetzes für PubMed entwickelt ZB MED Pläne, um weitere PubMed-Funktionen fortzuführen, falls die NLM nicht mehr in der Lage sein sollte, diese Aufgaben zu übernehmen – etwa die Weiterentwicklung des MeSH und das Einrichten eines Verfahrens zur Zeitschriftenauswahl für die Datenbank durch ein Editorial Committee.
ZB MED hat bereits Verhandlungen mit Verlagen aufgenommen. Mehrere Open-Access-Gold-Verlage haben ihre Bereitschaft signalisiert, ihre Metadaten in dieses Projekt einzubringen. Im Frage- und Antwortteil des Meetings wurde über die Herausforderung diskutiert, kommerzielle Verlage zur Teilnahme zu bewegen. Es wird einiges an Überzeugungsarbeit brauchen, damit die Verlage mitarbeiten – und möglicherweise wird es entscheidend sein, dass Bibliotheks- und Regierungs- oder Nationalkonsortien, die für institutionelle Lizenzen zahlen, diese Initiative in ihre Verträge aufnehmen – der Zugang zu diesen Metadaten war bereits Thema der Barcelona Declaration.
ZB MED hat aufgrund der Dringlichkeit bereits mit der technischen Umsetzung, dem Community-Aufbau und den Verhandlungen begonnen – sie haben nicht darauf gewartet, dass die Finanzierung gesichert ist, eben weil es so dringend ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das Ziel einer unabhängigen Open-Source-Infrastruktur für die lebenswissenschaftliche Literatur von so vielen Seiten wie möglich unterstützt und vorangetrieben wird. Es gibt hier eine Vorlage für einen Letter of Support von Institutionen etc. Bitte teilend Sie die Information und sorgen Sie dafür, dass sich Ihre Institutionen und Länder hinter dieses Vorhaben stellen!
Das Projekt heißt OLSPub – Open life science publication database. Die Internetseite dazu finden Sie hier. Dort wird es bald mehr zu sehen geben, und wenn Sie noch nicht auf der Mailingliste stehen, können Sie sich derzeit per E-Mail an Dr. Albers, deren Kontaktdaten auf der Website zu finden sind, anmelden [3].
Über meine Arbeit können Sie sich in meinem Newsletter Living With Evidence auf dem Laufenden halten. Ich bin auf Mastodon aktiv: @hildabast@mastodon.online und auf Bluesky.
Sie können ZB MED auf Mastodon, auf Bluesky, auf LinkedIn und auf Instagram folgen. Den YouTube-Kanal finden Sie hier.
Disclosures: Ich bin keine medizinischer Bibliothekarin oder Informationsspezialistin. Ich habe von 2011 bis 2018 beim NCBI an der National Library of Medicine (NIH) an PubMed-Projekten gearbeitet, vor allem an PubMed Health und PubMed Commons (die beide nicht mehr existieren). Ich spreche Deutsch, und die Übersetzungen in dem englischen Original-Beitrag sind meine eigenen.
Dieser Artikel wurde im englischen Original verfasst von Hilda Bastian und ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz – CC BY 4.0.
Anmerkungen der Redaktion:
[1] Der Vortrag ist online verfügbar auf dem ZB MED-YouTube-Kanal.
[2] Die Zusammenfassung der Fragerunde wurde auf der Projekt-Website veröffentlicht.
[3] Die Mailingliste ist zwischenzeitlich eingerichtet. Sie können sich hier direkt eintragen.