
Wir berichten hier im Blog immer wieder über unseriöse Auswüchse im wissenschaftlichen Publikationswesen.
In letzter Zeit häufen sich Berichte über zurückgezogene Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften, bei denen das Peer-Review-Verfahren systematisch unterwandert oder manipuliert wurde (für ein Beispiel siehe z.B. [1]). Der nachfolgende Beitrag von Dr. Jasmin Schmitz, stellvertretende Leitung im Programmbereich Open Science und Leiterin der Publikationsberatung, stellt die bisher bekannten fragwürdigen Praktiken zusammen:
- Peer Review als „Nebenjob“ und zur Steigerung der Zitatrate
Begutachtungen sind eigentlich Teil der wissenschaftlichen Selbstorganisation und werden von den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Community freiwillig und in der Regel ohne Vergütung übernommen. Grobe Faustregel hierbei: Für jedes Gutachten, welches man erhalten hat, sollte man selbst eines schreiben. Es gibt allerdings Gutachter:innen, die deutlich mehr Gutachten verfassen, in erster Linie um die von den Verlagen oder Zeitschriften angebotenen Incentives – wie z.B. Nennung als Gutachter:in, Gutscheine für eine Reduktion von Publikationsgebühren bei der nächsten Veröffentlichung, Zugang zum Archiv der Zeitschrift etc. – einzusammeln. Problematisch wird dieses Verhalten, wenn die Gutachten wenig substanziell sind, Plagiate enthalten und das Vorgehen „auf Masse“ angelegt ist. Man spricht hier dann von „Review Mills“ [2]. Klare Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis liegen insbesondere dann vor, wenn Gutachten massenhaft dazu benutzt werden, Referenzen vorzuschlagen, die thematisch wenig mit dem Ausgangstext zu tun haben, um damit für bestimmte Artikel „citation boosting“ zu betreiben – also deren Zitatrate in die Höhe zu treiben. In Anlehnung spricht man hier dann auch von „citation mills“ [3].
- Review Mills als Teil von Paper Mills
Paper Mills sind „Unternehmen“, die massenhaft Artikel bei wissenschaftlichen Zeitschriften einreichen. Die Artikel berichten meist über keine realen Forschungsergebnisse. Die Publikationen enthalten stattdessen gefälschte, manipulierte oder erfundene Daten oder plagiieren bereits veröffentlichte Literatur. Der Einsatz von generativer KI beim Erstellen der Artikel ist wahrscheinlich [4]. Paper Mills bieten entsprechende Artikel potenziellen „Autor:innen“ komplett zum Kauf an oder verkaufen Autor:innenpositionen nach erfolgreicher Annahmen bei einer Zeitschrift. Um die Publikation sicherzustellen, wird das Begutachtungsverfahren manipuliert, indem Gutachter:innen bei der Einreichung vorgeschlagen werden – zunächst einmal ein durchaus übliches Verfahren im wissenschaftlichen Publikationswesen. Durch gefälschte E-Mailadressen werden die Anfragen nach Gutachten seitens der Zeitschrift direkt auf die mit der Paper Mill zusammenarbeitende Review Mill umgeleitet – diese liefert quasi gleich das Gutachten zu der Publikation mit [5, 6, 7]. Ähnlich wie bei Paper Mills wird hier auch mit Templates gearbeitet, so dass die Gutachten massenhaft erstellt werden können – dafür aber meist wenig substanziell sind und sich in den Grundaussagen wiederholen [2, 5]. Bemerkenswert ist dabei, dass die Review-Mill-Gutachter:innen oft keine akademische Präsenz haben [5], also eigentlich keine Peers sind, da sie nie als Expert:innen / Forschende in dem Feld in Erscheinung getreten sind.
Hier findet allerdings eine „Weiterentwicklung“ statt: Mittlerweile wird auch mit Namen von renommierten Forschenden gearbeitet: Im Zuge der Einreichung werden im Feld bekannte Wissenschaftler:innen als Gutachter:innen vorgeschlagen. Allerdings wird nicht deren institutionelle Mailadresse angegeben, sondern eine leicht veränderte oder eine bei kostenlosen Mailprovidern im Namen der:des Wissenschaftler:in registrierte, allerdings ohne deren Wissen [8]. Die Anfrage nach einem Gutachten läuft dann ebenfalls direkt bei der Review Mill ein. Werden die Namen der vermeintlichen Gutachter:innen nachträglich bekannt oder veröffentlicht, entsteht für die Personen, deren Name missbräuchlich verwendet wurde, eventuell ein Reputationsschaden.
- Bestechung von Herausgebenden durch Paper Mills
Eine Variante, die insbesondere auch Paper Mills anwenden, ist Bestechung. Leitenden Herausgebenden wird für das „Durchwinken“ von Artikeln eine gewisse Summe Geld geboten. Ziel ist dabei nicht, einzelne Artikel so zu publizieren, sondern größere Mengen [9, 10]. Hierbei ist wichtig zu wissen, dass Herausgebende in ihrer Entscheidung, welches Manuskript veröffentlicht wird, unabhängig sind. Gutachten können dabei als Entscheidungshilfe dienen, sind aber nicht bindend. Somit kommt den Herausgebenden eine Schlüsselposition bei der Publikation zu, in der sie selbst redlich verfasste Gutachten gegebenenfalls ignorieren können.
- Einsetzen von Herausgebenden durch Paper Mills
Bei dieser Variante werden die Herausgebenden gleich von der Paper Mill eingesetzt. Beliebtes Ziel sind dabei Zeitschriften, die viele Special Issues – also Sonderhefte zu einem bestimmten Thema – herausgeben [9]. Auch hier kommen fingierte E-Mailadressen von vermeintlichen Herausgebenden ins Spiel, über die mit den Zeitschriften Kontakt aufgenommen wird, um Themenhefte vorzuschlagen. Gehen die Zeitschriftenverantwortlichen darauf ein, haben die eingesetzten Herausgebenden meist freie Hand und können das Review-Verfahren steuern und die Veröffentlichung der Paper-Mill-Erzeugnisse erwirken. In Extremfällen werden auch Publikationen, die von den Herausgebenden selbst verfasst wurden, gleich mit durchgewunken. Man geht mittlerweile davon aus, dass es ganze Netzwerke von Herausgebenden gibt [11], die entsprechend agieren; wobei teilweise unklar ist, ob hinter jedem Namen auch eine individuelle Person steht [9].
- Versteckte Nachrichten für die generative KI
Immer mehr Gutachter:innen nutzen generative KI-Tools beim Abfassen von Peer-Review-Reports. Dies kann unter bestimmten Bedingungen als Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis gesehen werden, insbesondere wenn das Tool mit dem Manuskript gefüttert und von diesem zusammengefasst oder „begutachtet“ wird. Das fehlende Wissen darum, aber auch fehlende Policies von Zeitschriften wird mittlerweile ausgenutzt: Um wohlwollende Gutachten zu „erzwingen“, verstecken Autor:innen im Manuskript daher Prompts an das KI Tool, die für die Tools lesbar, aber für das menschliche Auge unsichtbar sind (siehe [12] für ein Beispiel). Übernehmen Gutachter:innen die generierten Texte 1:1, wurde das Peer-Review-Verfahren erfolgreich manipuliert.
Generell sind Herausgebenden und Verlage oder Zeitschriftenbetreibende in der Pflicht, einen kritischen Blick auf das Begutachtungsverfahren und den Publikationsprozess zu werfen [2]. Artikel, die ein manipuliertes Begutachtungsverfahren durchlaufen haben, müssen zurückgezogen werden, weil die Ergebnisse nicht qualitätsgesichert sind. Zudem liegt wissenschaftliches Fehlverhalten vor, weil man sich mit unredlichen Mitteln eben dieser gründlichen Qualitätssicherung durch kundige Peers bewusst entzogen hat [2, 13]. Um eine Unterwanderung zu verhindern, können seitens der Zeitschriften sowohl Mailadressen von Autor:innen, aber insbesondere auch von Gutachter:innen verifiziert werden [5]. Auch eine Policy kann Fehlverhalten nicht gänzlich verhindern. Dennoch sollten Zeitschriften sich eine für den Umgang mit generativer KI und insbesondere auch für deren Einsatz im Begutachtungsverfahren geben. Damit wird Bewusstsein für das Thema geschaffen und auch weniger erfahrene Autor:innen erhalten Orientierung mit Blick auf die gute wissenschaftliche (Publikations)Praxis [13].
Herausgebende sollten zudem wachsam sein, wenn Gutachten zu einem Artikel sehr schnell und quasi zeitgleich eintreffen [14]. Special Issues sollten auch von erfahrenen Stammherausgebenden mitbetreut werden [15]. Auch Gutachter:innen sollten wachsam sein. Werden massenhaft Artikel trotz negativer Gutachten veröffentlicht, so deutet dies möglicherweise auf eine Unterwanderung des Publikationsprozesses einer Zeitschrift hin. Beteiligte Gutachter:innen sollten hier kritisch nachfragen, wenn sie Entscheidungen der Herausgebenden nicht nachvollziehen können.
Für die Peer-Review-Arbeit gilt: Generative KI-Tools sollten beim Abfassen von Gutachten lediglich als Unterstützung eingesetzt werden – beispielsweise zur Überprüfung der Rechtschreibung – nicht als das Tool, was die Arbeit macht. Zudem muss klar sein, dass Gutachter:innen für den Inhalt der Gutachten verantwortlich sind [13].
Quellen
[2] https://doi.org/10.1007/s11192-024-05125-w
[3] https://doi.org/10.1038/s41598-025-88709-7
[4] https://doi.org/10.1002/1873-3468.15018
[5] https://doi.org/10.15626/MP.2022.3422
[6] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0895435624003056
[7] https://retractionwatch.com/2021/06/18/galling-journal-scammed-by-guest-editor-impersonator/
[10] https://richardtol.substack.com/p/crime-pays
[12] https://doi.org/10.1038/d41586-025-02172-y
[13] https://doi.org/10.1007/s10439-025-03827-7
[14] https://doi.org/10.1007/s00210-024-03272-8
[15] https://retractionwatch.com/2021/12/20/revealed-the-inner-workings-of-a-paper-mill/