Das Beispiel MDPI
Von Petra Labriga
Im Dezember 2024 schloss ZB MED einen deutschlandweit gültigen Konsortial-Rahmenvertrag für Open-Access-Publikationen zwischen dem Verlag MDPI und deutschen Forschungseinrichtungen ab. Dem Konsortium gehören bereits mehr als hundert deutsche Universitäten, Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen an [1]. Daneben gibt es jedoch auch kontroverse Reaktionen. Dies nehmen wir zum Anlass, um am Beispiel MDPI zu erläutern, wie es zu Konsortialverhandlungen kommt und wie unsere Konsortialstelle arbeitet.
Die Rolle von ZB MED in Konsortialverhandlungen
ZB MED führt vor allem Verhandlungen zu lebenswissenschaftlichen Subskriptions- und Publikationsangeboten mit wissenschaftlichen Fachverlagen sowie über Datenbanken und Lernsoftware-Angebote für Einrichtungen in Deutschland als Mitglied der Bibliotheksgremien GASCO [2] und des Forum 13+ [3]. Dort sind Konsortialstellen von Universitäts-, Staats- und zentralen Fachbibliotheken sowie von Forschungsgemeinschaften vertreten. ZB MED übernimmt in diesem Rahmen auch nationale, multidisziplinäre Verhandlungen, wie beispielsweise 2023 zusammen mit der TIB mit dem Verlag Frontiers und 2024 unter anderem mit den Verlagen MDPI und Lippincott Williams & Wilkins. In den Fällen, in denen Verlage beim Forum 13+ eine Verhandlungsaufnahme anfragen, prüft das Forum das Interesse eines Verlags und tauscht sich mit den 18 Mitgliedern dazu aus, welche Institution die Verhandlung übernimmt. Die dabei verhandelten Angebote sind stets sogenannte „Opt-in“-Angebote, das heißt, es wird zunächst ein Konsortialangebot entwickelt, dem sich Universitäten und wissenschaftliche Einrichtungen in Deutschland nach Fertigstellung des Angebots freiwillig anschließen können. Für ausländische Verlage kann es anfangs irritierend sein, dass ein Konsortialführer nicht automatisch „alle deutschen Forschungseinrichtungen und Universitäten“ vertritt, sondern dass zunächst ein Angebot erarbeitet wird, dem sich erst später teilnehmende Einrichtungen anschließen.
Die Verhandlungen finden selbstverständlich nicht im luftleeren Raum statt. Konsortialführende Bibliotheken sind Expertinnen in der Erwerbung und Bestandsentwicklung und kennen sowohl das Angebot als auch die Bedeutung und das Renommee der Verlage. Sie stehen in engem Austausch mit den jeweiligen wissenschaftlichen Communitys und überprüfen regelmäßig deren Bedarf und Erwartungen. Wissenschaftspolitisch wird von Bibliotheken erwartet, die Transformation vom Closed Access zum Open Access im Sinne einer offenen Wissenschaft zu unterstützen und aktiv voranzutreiben. Gleichzeitig sollen Kosten eingespart werden.
Grundlagen und Kriterien für Konsortialverhandlungen
Marktanteil und Kosteneinsparungen
Als der Verlag MDPI Anfang 2024 beim Forum 13+ anfragte, repräsentierte MDPI den größten Gold-Open-Access-Verlag in Deutschland (und weltweit), gemessen an der Publikationszahl: Im Jahr 2023 veröffentlichten rund 10.000 sogenannte Corresponding Authors aus Deutschland einen Artikel bei MDPI. Laut OpenAPC wurden dabei etwa 1,5 Millionen Euro an Article Processing Charges (APCs) an den Verlag gezahlt. Damit verzeichnete MDPI nach SpringerNature im Jahr 2023 die zweithöchste Zahl an Gold-OA-Publikationen in Deutschland und erzielte so auch in Summe den zweithöchsten Betrag an Gold-OA-Publikationsgebühren. Für ZB MED ist von besonderem Interesse, dass die Disziplinen Medizin und Lebenswissenschaften 37 % des gesamten MDPI-Journal-Portfolios ausmachen [4]. Diese Zahlen sprachen für eine Aufnahme von Verhandlungen, da eine nationale Konsortialvereinbarung relevante Kosteneinsparungen für die deutsche Wissenschaft ermöglichen könnte. Die Verhandlungen erzielten schließlich ein beachtliches Einsparpotenzial von bis zu 30%. Laut Verlag betrugen die vorherigen Rabatte im MDPIs Institutional Open Access Program (IOAP) 10-15% . Auf der Basis der Publikationsausgaben für MDPI von 2023 entsprechen die Einsparungen des neuen Angebots mindestens einem Betrag in Höhe von EUR 500.000. Hier ist das Einsparpotential des unbegrenzten Flat-Fee-Modells [5] noch nicht mit eingerechnet. Weltweit nehmen ca. 900 Institutionen am IOAP-Programm [6] teil, darunter auch zahlreiche Nationalkonsortien.
Inhaltliche, qualitative Bewertung
Gleichzeitig steht MDPI seit längerer Zeit in der Kritik. Die Vorwürfe werfen diverse Fragen auf: Ist MDPI ein predatory publisher [7] beziehungsweise zeigen einzelne MDPI Journals Anzeichen von predatory journals? Ist die hohe Anzahl von veröffentlichten Special Issues – dies sind Sonderausgaben mit Themenschwerpunkten außerhalb der regulären Zeitschriften, die das Publikationsaufkommen des Verlags erheblich vergrößern – ein Zeichen von Umsatzgier und schlechter Qualität [8]? Ist aggressives Autor:innenmarketing per E-Mail nur lästig oder schon predatory [9]? Fördern Selbstzitationen den Impact-Faktor? Und wahrscheinlich am gravierendsten: Missachtet MDPI qualitative Standards durch den im Branchenvergleich sehr bzw. zu schnellen Peer-Review-Prozess [10]?
In Vorbereitung für alle von ZB MED unternommenen Konsortialverhandlungen betrachten wir folgende Kriterien:
- Prozent des Zeitschriftenportfolios im DOAJ
- Prozent der Zeitschriften mit Journal Impact Factor (Web of Science)
- Prozent des Zeitschriftenbestands in Web of Science/ Scopus/ Dimensions
- Mitgliedschaft und Aktivität der Verlage bei COPE [11], OASPA [12], STM [13]
- Prozent der in den letzten Jahren zurückgezogenen Artikel (Retraction Watch)
- Anzahl der abgelehnten Einreichungen.
Wir sehen es als Aufgabe des Konsortialführers, evidenzbasierter Kritik und konkreten negativen Hinweisen nachzugehen und den Verlag auf etwaige Probleme anzusprechen, die einer Verhandlung bzw. Vereinbarung im Wege stehen können. Im Falle von MDPI nutzen wir also auch Umfragen und Studien von Kolleg:innen aus Bibliotheken und Wissenschaft, die sich dem Thema MDPI bzw. Gold-OA-Verlage bereits gewidmet haben [14]. Nach Durchsicht der Studien und intensiven Diskussionen mit Fachkolleg:innen finden wir zwar an einigen Stellen berechtigte Kritik mit Blick auf die Qualität, die sich aber auf Einzelfälle und einzelne Zeitschriften, aber nicht auf alle Zeitschriften des Verlages übertragen lässt. Hier bedarf es also, wie bei anderen Verlagen auch, der Prüfung einzelner Zeitschriften, die wir als Konsortialführer nicht leisten können.
Im Verhandlungsjahr 2024 luden wir immer wieder zur Diskussion ein, unter anderem in zwei von ZB MED angebotenen Informationsveranstaltungen zum Thema MDPI-Konsortium. Wir gaben den Qualitätsthemen Raum, sprachen Themen wie Special Issues an und kamen auch dort zu der Erkenntnis, dass MDPI nicht pauschal als ein Verlag mit unzureichender Qualität eingestuft werden kann.
Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung im Publikationswesen
Während unsere Bewertung offensichtlich nicht jedem gefällt, folgen die 108 am Konsortium teilnehmenden Institutionen dem Wunsch ihrer Wissenschaftler:innen, bei MDPI zu veröffentlichen. So können sie selbst entscheiden, ob sie mit der Veröffentlichung in einem bestimmten Verlag ihre Community erreichen und ein Umfeld vorfinden, in dem sie gerne publizieren. Gleichzeitig ergreifen ihre Institutionen die Möglichkeit, ihr Publikationsbudget zu entlasten.
In Deutschland ist die freie Wahl des Publikationsorts Teil der Wissenschaftsfreiheit. Autor:innen wählen für ihre Publikationen den Publikationsort, der ihren Motivationen (Erreichen der Wissenschaftscommunity, Prestige, schnelle Publikation, Preis etc.) am ehesten entspricht. Bibliotheken beraten, administrieren Publikationen und verwalten Budgets. Zuweilen entscheiden sie durch die Verweigerung einer Publikationsförderung bei einem bestimmten Verlag auch aktiv über Publikationsmöglichkeiten von Autor:innen. Sie greifen damit indirekt in die Wissenschaftsfreiheit ein. Dies sollte nur unter Nachweis schwerwiegender Gründe in einem offenen Diskurs geschehen, der allen Beteiligten die Gelegenheit gibt, sich zu informieren und sich zu erklären. Nur so kann es zu einer Verbesserung einer solchen Situation kommen.
Jedes Verlagsportfolio umfasst eine Reihe von Zeitschriften, die die Qualitätssicherung der Artikel jeweils anders gestalten. Autor:innen, die in MDPI-Zeitschriften veröffentlichen, können sich gezielt jene aussuchen, die ihren Standards und Erwartungen entsprechen. Dazu gehören allgemeine Qualitätsstandards, die von wissenschaftlichen Zeitschriften und Verlagen erwartet werden, insbesondere im Hinblick auf die gute wissenschaftliche Praxis. Gerne berät ZB MED Autor:innen beim Publizieren [15]. Wir sehen es weiterhin als Aufgabe des Konsortialführers, neuer, evidenzbasierter Kritik nachzugehen und den Verlag auf etwaige Verfehlungen oder ungünstige Entwicklungen anzusprechen, um auf die Verbesserung einer solchen Situation hinzuwirken. Ein nationales Konsortium hat dabei ein anderes Gewicht als eine einzelne, sich entziehende Einrichtung.
Wir blicken mit Interesse auf die bevorstehende zweijährige Konsortialphase, sind offen für Hinweise und Anregungen und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit allen am Konsortium Teilnehmenden – ebenso wie mit jenen, die dem Angebot und auch uns derzeit kritisch gegenüberstehen.
- Weitere Informationen zur Vereinbarung.
- GASCO
- Forum 13+
- Quelle: OA Monitor
- Das Flat-Fee-Modell von MDPI beinhaltet unbegrenztes Publizieren zu einem individuell kalkulierten Festpreis pro Jahr. Mehr Informationen unter https://www.zbmed.de/fileadmin/user_upload/Bibliothek/Konsortiallizenzen/Produktblatt_MDPI-ZBMED_2025-2026_oI.pdf
- Institutional Open Access Program (IOAP) von MDPI
- Mehr Infos zum Predatory Publishing unter https://www.publisso.de/open-access-beraten/faqs/predatory-publishing sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Predatory_Publishing.
- Dorothy Bishop: Now you see it, now you don’t: the strange world of disappearing Special Issues at MDPI. BishopBlog, 2024: https://deevybee.blogspot.com/2024/09/now-you-see-it-now-you-dont-strange.html
- Verschiedene Blogbeiträge geben einen guten Überblick: https://www.laborjournal.de/rubric/hintergrund/hg/hg_22_06_03.php?consent=1 (2022) sowie https://paolocrosetto.wordpress.com/2021/04/12/is-mdpi-a-predatory-publisher/ (2021)
- René Aquarius: My experience as a reviewer for MDPI. BishopBlog, 2024: https://deevybee.blogspot.com/2024/08/guest-post-my-experience-as-reviewer.html?m=1
- COPE
- OASPA
- STM
- Eine kritische wissenschaftliche Studie zu MPDI von 2021 musste korrigiert werden: https://academic.oup.com/rev/article/30/3/405/6348133.
Aktuelle, auch sehr ausführliche Studien, kommen zu dem Schluss, dass manches bei MPDI – wie bei anderen Verlagen auch – nicht optimal läuft, aber es eine sehr gute Möglichkeit für junge Forschende ist: https://www.iaras.org/iaras/filedownloads/ijems/2024/007-0001(2024).pdf.
Kritik ist nur bei einzelnen Journals (wie bei anderen Verlagen auch) zutreffend und die Verunglimpfung eines gesamten Verlages nicht seriös: https://arxiv.org/pdf/2411.08051,,https://www.iaras.org/iaras/filedownloads/ijems/2024/007-0001(2024).pdf.
MDPI aus Sicht des Verlagswesens: https://scholarlykitchen.sspnet.org/2020/08/10/guest-post-mdpis-remarkable-growth/
Ein Beispiel für eine Nutzenden-Befragung in Deutschland findet sich hier: https://b-i-t-online.de/heft/2024-02-fachbeitrag-pohlmann.pdf - Infos zur Publikationsberatung von ZB MED und einer Studie (2023).