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Open Access in der Wissenschaft: von den Anfängen bis heute

Wie geht es Ihnen, wenn Sie an Open Access denken? Erwarten Sie, dass der freie Zugang zu Literatur und Daten selbstverständlich ist? Oder nehmen Sie eher die Hürden auf dem Weg zu wissenschaftlichen Informationen wahr? Über die Hintergründe berichten Miriam Albers und Elke Roesner.

Open Access für Wissenschaft und Bibliotheken

Bis vor ca. 20 Jahren war der ausschließliche Weg, Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften lesen zu können, dass Personen bzw. meist Bibliotheken für den Zugang bezahlt haben. Publizieren war ein Prozess, der nur zwischen Verlagen und Autor:innen passierte. Heute ist Open Access (OA) sowohl eine selbstverständliche Zugangsoption für Informationssuchende als auch eine Publikationsform für wissenschaftliche Autor:innen. Außerdem beeinflusst OA als Geschäftsmodell den Arbeitsalltag von Bibliothekar:innen.

OA hat seit Aufkommen der Initiative, die Rollen aller Akteur:innen des wissenschaftlichen Publizierens – Autor:innen, Hochschulen, Verlage und Bibliotheken – massiv verändert.

Wie ist es zu dem Paradigmenwechsel vom bezahlten Zugang zu Zeitschriften hin zu Open Access gekommen und wie hat er sich entwickelt?

Andauernde Zeitschriftenkrise als Auslöser

Freien und unbeschränkten Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zu ermöglichen, ist eine der Hauptaufgaben von Wissenschaftlichen Bibliotheken. Exakt diese Hauptaufgabe konnte jedoch ab den 1990er Jahren durch gestiegene Anschaffungskosten z. B. im Zeitraum von 1986 bis 2004 von 188 % für Zeitschriftenabonnements[1] –  also die Subskriptionsgebühren der Verlage –  nicht mehr vollumfänglich erfüllt werden. Diese Verschlechterung der Literaturversorgung wird auch als „Zeitschriftenkrise“ bezeichnet. Eine signifikante Erhöhung der Bibliotheksbudgets durch die öffentlichen Förderer war genauso wenig realistisch wie freiwillige drastische Preissenkungen seitens der Verlage. Selbst wenn das Budget von Wissenschaftlichen Bibliotheken nur den jährlichen Preissteigerungen angepasst worden wäre, wäre es nahezu unmöglich gewesen, dem Bedarf der Leser:innen an wissenschaftlicher Literatur in qualitativer und quantitativer Hinsicht gerecht zu werden. Noch 2011 formulierte die Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur: „Das Ziel einer umfassenden nationalen Versorgung mit lizenzpflichtigen elektronischen Inhalten ist mit der gegebenen Ressourcenausstattung nicht zu erreichen.“

Ziel von OA

Freier Zugang zu wissenschaftlichen Fachpublikationen – dafür steht OA. Dabei geht es insbesondere um Zeitschriftenartikel. Die Autor:innen entscheiden sich für eine entgeltfreie und möglichst schrankenlose Veröffentlichung auf eigenen oder institutionellen Webseiten und Repositorien (z. B. von Zweitpublikationen) oder aber in einer OA-Zeitschrift ggf. durch Zahlung einer Publikationsgebühr.

Zentrales Ziel ist es, dass die von der Öffentlichkeit über Steuergelder finanzierte Forschung und deren Ergebnisse als Publikation wiederum frei zugänglich sein sollte.

Anfang und Ausprägungen von OA

Als Reaktion auf die Zeitschriften- bzw. Zugangskrise wurden 1999 mit Biomed Central (BMC) der erste Open-Access-Verlag und die Open Archives Initiative gegründet. Es folgten in den Jahren 2001 bis 2003 verschiedene Open-Access-Erklärungen. So fordert 2003 die „Berliner Erklärung“, an der u.a. alle wissenschaftlichen Fachgesellschaften Deutschlands und die Deutsche Forschungsgemeinschaft beteiligt sind, den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen.

Als Folge der aufkommenden OA-Bewegung entwickelten sich neue Geschäftsmodelle: Zu Beginn der OA-Bewegung wurden vor allem der grüne und der goldene Weg als mögliche Umsetzungsoptionen benannt. (Mehr über Open Access Gold und Grün in den FAQs von PUBLISSO.)

Es wurden reine Open-Access-Zeitschriften gegründet. Die Finanzierung der Zeitschrift erfolgt entweder über eine öffentlich finanzierte Institution oder basiert auf dem Grundsatz, dass die Publizierenden Publikationsgebühren (Article Processing Charges, genannt APC) im sogenannten Author-pays-Model bezahlen. Der Zugriff auf die Inhalte dagegen ist für alle frei – das ist der goldene Weg oder Open Access Gold.

Alternativ entstanden Repositorien, welche die Zweitveröffentlichung von Verlagspublikationen oder aber die freie Erstpublikationen z. B. von Berichten ermöglichen – der grüne Weg oder Open Access Green.

Dies sind nach wie vor die gängigen Möglichkeiten, die sich u. a. um den bronzenen und diamantenen Weg erweitert haben[2]. Die Begriffe werden jedoch nicht einheitlich verwendet.

Directory of Open Access Journals (DOAJ)

Das zentrale Verzeichnis für Open-Access Zeitschriften (DOAJ) wurde 2003 mit 300 gelisteten Open-Access-Zeitschriften in Lund gegründet. Inzwischen sind rund 18.200 peer-reviewed Open Access Journals indexiert. Ein Großteil der gelisteten Zeitschriftentitel verlangt keine APC und ist meist nicht von Verlagen betrieben. Die meisten dieser Zeitschriften haben (noch) keine ausgeprägte Reputation.

Sonderfall Hybride Zeitschriften

Bei sogenannten hybriden Zeitschriften können einzelne Artikel mittels Zahlung einer Open-Access-Publikationsgebühr sofort frei veröffentlicht werden. Kritiker:innen werfen diesem Modell vor, dass Verlage an der Forschung doppelt verdienen: zum einen durch die erhobenen Publikationsgebühren und zum anderen durch die Subskriptionsgebühren. Dies wird auch Double Dipping[3] genannt. Zudem sind die Publikationsgebühren bei hybriden Zeitschriften meist überdurchschnittlich hoch.

Verbreitung und Entwicklung von OA

Die Verbreitung von und der Zugang zu (Fach-)Informationen ist seit über 20 Jahren so einfach wie noch nie.

Gründe dafür sind:

  • das elektronische Publizieren
  • die generelle Digitalisierung
  • die damit einhergehende Lizenzierung von großen Zeitschriftenpaketen (sog. Big Deals, bei denen wissenschaftliche Bibliotheken bei Verlagen große Zeitschriftenpakete abonnieren; damit wurden individuelle, am Bedarf einzelner Institutionen ausgerichtete Abos abgelöst.)
  • die zunehmende Verbreitung von Open Access veröffentlichten Publikationen

Die Anzahl an Publikationen und potentiellen Leser:innen steigt kontinuierlich. So ist beispielsweise Medizin das publikationsintensivste Fach. Von staatlicher Seite wird das wissenschaftliche Forschungsbudget für sich immer weiter ausdifferenzierende Fachdisziplinen erhöht. Jedes Jahr werden mehr Artikel in einer steigenden Anzahl von Zeitschriftentiteln publiziert. Die Möglichkeiten der fortschreitenden Digitalisierung der wissenschaftlichen Literatur, die Heterogenität und Parallelität von Publikationsformen haben sich stark erweitert. Die Förderung der OA-Initiative verläuft je nach Fachgebiet, Staat oder auch Institution heterogen. Nach wie vor herrscht bei Forschenden Frustration darüber, dass es häufig zu einer Verzögerung zwischen Auffinden und Verfügbarkeit eines Artikels kommt. Denn häufig sind insbesondere die Artikel, die eine besonders hohe Reputation haben oder aber sehr aktuell sind, nicht OA zugänglich. Gleichzeitig sind Verzögerungen, die früher selbstverständlich waren, z. B. von Stunden bzw. einem Tag durch die Bereitstellung eines Artikels per Dokumentenlieferung, heutzutage kaum mehr akzeptabel.

Die meisten der beteiligten Akteure, wie z. B. Bibliothekar:innen und Autor:innen befürworten die OA-Initiative im Grundsatz. Für Autor:innen existieren in der eigenen Umsetzung jedoch verschiedene Hinderungsgründe. So ist die Publikation in einer häufig zitierten Zeitschrift (einem sog. High Impact Journal) in den meisten Fachrichtungen nach wie vor karriereentscheidend. Nach wie vor sind Lizenzzeitschriften in den meisten Fällen hier besser etabliert. Dazu kommt, dass die finanziellen Mittel für eine Publikationsgebühr nicht vorhanden sind. Wieder andere wollen sich nicht vorschreiben lassen, wo und wie sie publizieren. Letztendlich ist die Publikation als Open Access häufig nur eine Option und teilweise ein Privileg, welches durch die Publikationskultur der Fachrichtung und die Ausstattung der Einrichtung bedingt wird. Durch die Art der Publikation kann der eigene Karrierestand begünstigt oder verhindert werden.

Plan S

Mit Plan S wurde 2018 durch ein Konsortium von internationalen Forschungsförderern eine Strategie festgelegt: Staatlich finanzierte Forschungsergebnisse sollen ohne Embargofrist sofort Open Access veröffentlicht werden. (Mehr zu Plan S: https://www.coalition-s.org/)

The solution is to make all articles Open Access

„The solution is to make all articles Open Access”, war zu Beginn der Debatte die zentrale Forderung des Open-Access-Pioniers Steven Harnard. Davon sind wir immer noch entfernt, wie die Grafik zur Verteilung der Zeitschriftenartikel in Deutschland innerhalb der letzten Jahre zeigt:

Verhältnis von Open/Closed Access Zeitschriftenartikel in Deutschland für die letzten fünf Jahre (2018 – 2022) auf Basis von Dimensions, Unpaywall sowie den im OAM verwendeten Zeitschriftenlisten (DOAJ, DOAG) an. Quelle: Open Access Monitor, Stand 19.09.2022,(CC-BY 4.0 International).

Immerhin liegt der Open-Access-Anteil inzwischen bei rund 57 % im Vergleich zu Closed Access mit ca. 43% (Stand: 2022).

Fazit – Mittendrin, aber noch nicht am Ende

Ein hoher Anteil der Akteur:innen des wissenschaftlichen Publizierens unterstützt oder nutzt vor allem OA. Gerade für Wissenschaftler:innen außerhalb von finanzstarken Institutionen hat sich die Versorgungslage mit Literatur deutlich verbessert. Auch Verlage, die sich anfangs der Entwicklung zu Open Access kritisch – wie Springer Nature oder Elsevier – gegenüberstellten, haben vielfach auf OA umgestellt. Biomed Central (siehe oben) ist inzwischen von Springer gekauft worden. Der OA-Anteil von Zeitschriftenartikeln ist signifikant gestiegen. Und doch ist die Open-Access-Initiative nicht am Ziel.

Anfang 2022 forderte der Wissenschaftsrat, dass Open Access zum Standard gemacht werden soll: „Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen stärkt die Forschung, steigert die gesellschaftliche Rezeption und erhöht die Wirtschaftlichkeit.“[4] Dieses Statement zeigt, wie fest Open Access mittlerweile auch in den wissenschaftspolitischen Strukturen verankert ist. Es zeigt aber auch, dass OA nach wie vor nicht (in allen Bereichen) als Standard etabliert ist und nach wie vor der aktiven Förderung bedarf.

Aktuell scheint es trotz allen politischen Willens und starker Akteur:innen, dass die Open Access-Initiative auf seine erste existentielle Krise zusteuert. Kritik wird mittlerweile öffentlich in Diskussionen, Artikeln und auf Konferenzen geäußert: Open Access wird als ein weiteres Geschäftsmodell bezeichnet, das an der Preisspirale letztendlich nichts geändert hat. Es wird kritisiert, dass die Kosten weiter in einem Umfang bestehen bleiben bzw. sogar ansteigen, die für immer mehr Bibliotheken nicht mehr tragbar wären. Ein nächster Prüfstein für die Belastbarkeit der aktuellen Vorgehensweise könnte die Entscheidung sein, ob ein Vertrag mit dem Verlag Elsevier im Rahmen von DEAL für die Bibliotheken überhaupt noch finanzierbar sein wird.

Die Open Access-Initiative ist bislang eine Geschichte – zu Recht – eine Geschichte gespickt von Erfolgen und der Erreichung von Meilensteinen. Jetzt gilt es die aktuelle Situation von Open Access – mit all ihren Erfolgen und Enttäuschungen – nüchtern in einem größeren Kontext neu zu betrachten. Dies bezieht den  gesamten Wissenschaftskreislaufs, der Funktionsfähigkeit von zentralen Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken, die Ermöglichung wissenschaftlichen Arbeitens sowie die individuellen Karrieren ein. Es geht um nichts weniger als die Arbeitsfähigkeit, um den gesamtgesellschaftlichen Auftrag, den Universitäten, Forschungseinrichtungen und Informationsinfrastrukturen haben, erfüllen zu können.      

Open Access ist schon längst eine Erfolgsgeschichte. Um das  Wissenschaftssystem in seiner Gesamtheit dadurch noch effizienter zu machen braucht es jedoch  weiter einen langen Atem. 

Informationen zu den Aktivitäten von ZB MED im Rahmen von Open Access und Open Science finden Sie auf der ZB MED-Website sowie dem ZB MED-YouTube-Kanal.


Weiterführende Links

DOI (Digitalausgabe):  https://doi.org/10.48664/bx6e-rh96


[1] Siehe auch: Regener, Ralf; Matthes, Anja (2019): Open Access in der alltäglichen Diskussion. Hintergründe des Dilemmas und kritische Standpunkte. In: o-bib, Bd. 6 Nr. 1. DOI: https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H1S30-41

[2] Siehe auch: Schmeja, Stefan (2018): Gold, Grün, Bronze, Blau…: Die Open-Access-Farbenlehre. https://blogs.tib.eu/wp/tib/2018/10/24/gold-gruen-bronze-blau-die-open-access-farbenlehre/

[3] Siehe auch: Mittermaier, Bernhard (2015): Double Dipping beim Hybrid Open Access – Chimäre oder Realität? In: Informationspraxis, Bd. 1, Nr. 1 (2015), DOI: https://doi.org/10.11588/ip.2015.1.18274.

[4] Wissenschaftsrat (2022): Empfehlungen zur Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access; Köln. DOI: https://doi.org/10.57674/fyrc-vb61

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