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Millionen Datensätze für die digitalen Lebenswissenschaften

von Dr. Miriam Albers

Ada E. Yonath, eine israelische Strukturbiologin und Nobelpreisträgerin, formulierte den Kern ihrer Arbeit so: “Ich wurde als Träumerin, Fantastin, sogar als Idiotin beschrieben. Es war mir egal. Es war mir nur wichtig, die Leute davon zu überzeugen, mich mit meiner Arbeit weitermachen zu lassen.” Forschende aus den Lebenswissenschaften brauchen, abgesehen von Fantasie und Durchhaltevermögen, einer stabilen Finanzierung bzw. Förderung: Informationen! Die tägliche Arbeit besteht zum Großteil aus dem Browsen durch wissenschaftliche Literatur und Forschungsdaten, um den aktuellen Stand des Forschungsthemas zu kennen, darauf aufzubauen und offene Forschungsfragen zu identifizieren. Besonders in den Lebenswissenschaften, dem Wissenschaftsbereich mit dem höchsten Publikationsaufkommen aller Disziplinen, ist das eine nur schwierig zu bewältigende Herausforderung.

ZB MED als Zentrale Fachbibliothek für Medizin und Gesundheitswesen sowie Agrar-, Ernährungs- und Umweltwissenschaften ist als weltweit größte Bibliothek zu diesem Wissenschaftsbereich seit Jahrzehnten der zentrale Knotenpunkt für lebenswissenschaftliche Literatur. Das Gutachten des Wissenschaftsrates bestätigt im Juli 2022: “Vor diesem Hintergrund nimmt ZB MED/BIBI als Infrastruktur- und Forschungszentrum für lebenswissenschaftliche Daten und Informationen grundsätzlich wichtige und relevante Aufgaben der Literatur- und Informationsversorgung, des Datenmanagements sowie der Bereitstellung von Informationsinfrastrukturen für mikrobielle Daten wahr.[1]

Informationsversorgung für die Lebenswissenschaften

Genau diese Aufgabe, nämlich die Versorgung der Lebenswissenschaftler:innen verlässlich und zentral in Deutschland in Ergänzung zu Hochschul- und institutionellen Bibliotheken zu sichern, ist zentraler Auftrag des Programmbereiches Informationsversorgung – Dienste.

Ist die Bedeutung dieser Aufgabe auch unzweifelhaft, so wird doch die Art und Weise des Angebots seit der Etablierung von elektronischen Medien zunehmend in einem Spannungsfeld diskutiert. Elektronische Zeitschriften und Bücher sind in großem Umfang verfügbar und seit der nationalen Vertragsabschlüsse im Rahmen des Projekts DEAL[2] mit den wissenschaftlichen Großverlagen Springer und Wiley auch zunehmend Open Access zugänglich. Durch die digitalen Möglichkeiten sind fachübergreifende Literaturangebote leicht zu schaffen. Gleichzeitig bleibt die Frage (noch) unbeantwortet, wie z. B. die Lebenswissenschaften durch fachspezifische Angebote weiter profitieren können. Für Bibliotheken ist die Herausforderung, zwischen fachübergreifenden und fachlichen Infrastrukturen zu vermitteln, größer als die Herausforderungen der Digitalisierung selbst.[3]

Der Programmbereich Informationsversorgung – Dienste orientiert sich in diesem Spagat der Aufgaben besonders am Bedarf von potentiell unterversorgten Zielgruppen, d. h. Forschende von Hochschulen, deren Spezialthemen der Lebenswissenschaften dort nicht versorgt werden können, und Forschende von außeruniversitären Einrichtungen, welche häufig in ihren eigenen Häusern wenig Unterstützung in der Literaturversorgung erfahren. Somit gibt es Angebote und Leistungen, die darauf abzielen, Spezialthemen der Lebenswissenschaften besser zu erschließen. Gleichzeitig verfolgt der Programmbereich Initiativen zur Förderung von Open Access, die die Informationsversorgung aller Lebenswissenschaftler:innen verbessern und entwickelt gezielte Angebote für außeruniversitäre Einrichtungen, die derzeit von der Transformation zu Open Access (noch) nicht profitieren.

Zentral sichtbar werden diese unterschiedlichen Angebote im Suchportal LIVIVO – mit Millionen Datensätzen für die Lebenswissenschaften. Hier können Forschende oder ihre unterstützenden Bibliotheken die für sie relevante Literatur finden – mit einem einfachen Suchschlitz oder der für komplexere Anfragen geeigneten Expert:innensuche. ZB MED führt hier verschiedene für die unterschiedlichen Bereiche der Lebenswissenschaften zentrale Datenbanken wie MEDLINE oder AGRICOLA mit den Beständen von ZB MED zusammen.

Datenanreicherung und Lizenzierung

Daneben erfolgen gezielte Datenanreicherungen bzw. Lizenzierungen, welche den Bedarf der Zielgruppen bedienen:

  • In einem halbautomatischen Verfahren werden Aufsatzdaten von Zeitschriften aus den Lebenswissenschaften, die nicht in etablierten Datenbanken enthalten sind, generiert und in LIVIVO eingespielt. Dabei handelt es sich in überwiegender Anzahl um deutschsprachige Zeitschriften- und Spezialliteratur, die sonst in keiner Form auffindbar und gemeinsam durchsuchbar ist. Im Jahr 2022 wurden 38.252 Datensätze neugeneriert. Insgesamt umfasst dieser Bereich in LIVIVO 1.086.720 Datensätzen für die Medizin (CC MED) und 213.785 für den Bereich Ernährung, Agrar und Umwelt (CC GREEN).
  • ZB MED bedient einen Spezialbedarf mit der Erschließung und Digitalisierung von urheberrechtsfreier, zumeist historischer Literatur in den Digitalen Sammlungen. Über 9.000 Digitalisate sind so in höchster Auflösung zu Themen wie z. B. Apidologie (Bienenkunde), Milch- und Molkereiwesen, Geburtshilfe oder Medizingeschichte durchsuchbar und direkt im Volltext zugreifbar. Allein im Jahr 2022 wurden die Digitalisate 3.534.724 Mal genutzt.
  • Ein Alleinstellungsmerkmal von ZB MED sind die Fernzugriffslizenzen. Nach der kostenlosen Erstellung eines Ausweises zur sogenannten virtuellen Benutzung, können User aus ganz Deutschlang flexibel von überall auf die Informationen zugreifen. Dieses Angebot macht es Forschenden an allen Institutionen, aber auch Personen in Anwendungsbereichen der Lebenswissenschaften wie Ärzt:innen und Pflegepersonal möglich, direkt auf ca. 18.135 E-Books und 4.484 E-Journals zuzugreifen. Dabei stehen Zeitschriftentitel aus 21 Fachverlagen zur Verfügung, darunter so unterschiedliche Verlagshäuser wie Taylor & Francis oder Wageningen Academic Publishers.
  • Im Jahr 2022 verhandelte ZB MED im strategischen Lizenzmanagement für Zielgruppen wie (Lehr-)Krankenhäuser, Rehakliniken, medizinische Lehreinrichtungen, Universitätskliniken, Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen 14 Konsortialangebote im Bereich von lebenswissenschaftlichen Zeitschriftenpaketen und Datenbanken. Aktuell führt ZB MED acht Konsortien an. Für die besonderen Bedarfe der Lebenswissenschaften in der Transformation zu Open Access setzte ZB MED auch im Jahr 2022 etwa ein Viertel des Erwerbungsetats ein. Zum Beispiel für Transformationsverträge oder die Verhandlung von nationalen oder Konsortialverträgen mit klassischen und Open-Access-Verlagen.

Ein Dauerbrenner der Informationsversorgung ist die klassische Dokumentlieferung, die weiterhin stark nachgefragt wird: 2022 konnten 35.192 Fernleih- und 28.171 Subito-Bestellungen positiv erledigt werden. Damit steht ZB MED im 15. Jahr in Folge an der Spitze der Subito-Lieferanten.

Unser Auftrag für die Wissenschaft

Millionen Datensätze. Damit alles an einem Ort ist. Damit jede:r Forschende – Träumende, Fantasierende und Idiot:in – “seine/ihre” Literatur findet. Damit – und das ist mindestens genauso wichtig – die Literatur der Forschenden aus Deutschland auch gefunden wird und sichtbar ist. Damit die Forschenden in den Lebenswissenschaften noch leichter “mit ihrer Arbeit weitermachen können”. Daher ist das Ziel des Programmbereiches für die Zukunft, die Qualität dieser fachübergreifenden Daten und die Art des Zugangs noch weiter anzupassen, damit jeder Bedarf nicht nur gedeckt wird, sondern dieser auch leicht und komfortabel und insbesondere fachspezifisch passend zugänglich ist.


Dieser Beitrag erschien in einer vorherigen Version im ZB MED-Jahresbericht 2022.

[1]https://www.wissenschaftsrat.de/download/2022/9783-22.html, S. 10

[2] https://www.projekt-deal.de/

[3] Horstmann, Wolfram. „Zur Rolle von Bibliotheken in digitalen Forschungsinfrastrukturen“. Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung: Festschrift für Thomas Bürger zum 65. Geburtstag, edited by Achim Bonte and Juliane Rehnolt, Berlin, Boston: De Gruyter Saur, 2018, pp. 93-109. https://doi.org/10.1515/9783110587524-015, S. 107

DOI (Digitalausgabe): https://doi.org/10.48664/7x0e-g955

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