Journal Hijacking: Neues Vorgehen stellt wissenschaftliches Publikationswesen vor weitere Herausforderungen

von Jasmin Schmitz

Dass beim Predatory Publishing (siehe ausführlich hierzu [1]) auch auf Verwechslung gesetzt und unseriöse Publikationsangebote geschaffen werden, ist seit längerem bekannt. Dies geschieht, indem Zeitschriftentitel von bekannten Zeitschriften nur leicht verändert werden und ein passender Internetauftritt erstellt wird, der der etablierten Originalzeitschrift ähnlich ist. Auch dass Online-Zeitschriftenauftritte unter einer anderen URL „nachgebaut“ werden, indem Logos und Webseitenstruktur einer bekannten Zeitschrift kopiert werden, ist nichts Neues. Beide Strategien werden auch als „Journal Hijacking“ bezeichnet und haben zum Ziel, Manuskripteinreichungen auf die unseriösen Angebote „umzuleiten“ und die mit der Publikation verbundenen Publikationsgebühren zu „erbeuten“, ohne dass die üblichen verlegerischen Leistungen wie Qualitätssicherung mittels Peer Review erbracht werden. Identifizierte Fälle von sogenannten „hijacked journals“ werden vom Retraction Watch Hijacked Journal Checker [2] gesammelt. Die Sammlung umfasst derzeit mehr als 230 gekaperte Zeitschriften und dient Publikationsberatungsstellen und skeptischen Autor:innen gleichermaßen dazu, Zeitschriften zu überprüfen, wenn an der Legitimität eines Webauftritts gezweifelt wird.

Für Aufsehen sorgt derzeit allerdings das Vorgehen, bei dem Anbieter von betrügerischen Publikationsangeboten verstärkt Links von Zeitschriften in Datenbanken ändern und so den Traffic und die Einreichungen auf ihre Seiten umleiten. In letzter Zeit mehren sich die Meldungen, dass ohne Zutun der Betreiber:innen der Originalzeitschrift, Links insbesondere in der Datenbank Scopus (https://www.scopus.com/) geändert wurden (siehe dazu u.a. die ausführliche Fallstudie zum Scandinavian Journal of Information Systems [3]). Wie genau dabei vorgegangen wurde, wird derzeit noch untersucht.
In anderen Fällen blieben die Links zwar gleich, es wurden allerdings die Gebühren für die Verlängerung der Internetadresse einer seriösen Zeitschrift von Betrügern bezahlt und so der Webauftritt für deren Zwecke übernommen [4] [5].

Sowohl Linkänderungen als auch die böswillige Übernahme von Zeitschriftenseiten hatten zur Folge, dass Artikel, die von dem unseriösen Zeitschriftenpendant veröffentlicht wurden, von Scopus indexiert wurden. Neben seriösen Forschungsergebnissen nach den Maßstäben der guten wissenschaftlichen Praxis können diese Artikel insbesondere auch gefälschte Ergebnisse, Plagiate oder andere Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens enthalten, da diese Zeitschriften in erster Linie an den Publikationsgebühren verdienen wollen und auf eine intensive Begutachtung verzichten [4].

Diese Unterwanderung von Datenbanken wie Scopus ist  besonders problematisch, da das Wissenschaftssystem an unterschiedlichen Stellen auf die Seriosität der Inhalte vertraut, die dort indexiert sind. Sie bilden unter anderem die Datenbasis für Rankings. Die Liste der dort ausgewerteten Zeitschriften wird als Quasi-Positivliste verstanden, d.h. Autor:innen sehen die dort indexierten Zeitschriften als Möglichkeit für Einreichungen [6]. Auch bei der Forschungsbewertung spielen diese Datenbanken eine Rolle [5].

Wenngleich es derzeit lediglich nur eine umfassende Untersuchung zu dieser Form des „indexjackings“ bei Scopus gibt [5], dürften wohl auch andere Datenbanken betroffen sein [4]. Dass Predatory Journals auch anderweitig Eingang in diese Datenbanken gefunden haben und dort indexiert werden, ist bereits länger bekannt (siehe hierzu unter anderem [7]).

Die durch das Journal Hijacking fälschlicherweise indexierten Artikel wurden mittlerweile teilweise aus Scopus entfernt [4].

Elsevier, Betreiber von Scopus, hat bekannt gegeben, dass es künftig auf die Verlinkung zu Zeitschriften verzichtet, Zeitschriftenseiten von dort aus lediglich über den DOI der Artikel und den „View at Publisher“-Button zugreifbar sind [8]. Tests haben allerdings ergeben, dass man hierüber dennoch auf die Internetseite des falschen Zeitschriftenpendants gelangt, das Problem damit also nicht vollständig gelöst ist [9]. Elsevier verweist darauf, dass die Pflege der DOI-Metadaten Sache der Zeitschriftenbetreibenden ist [8].

Wohl oder übel müssen sich nun wohl alle Akteur:innen im wissenschaftlichen Publikationswesen mit diesen Entwicklungen verstärkt auseinandersetzen [3].
Dass Datenbankbetreiber hier in der Pflicht stehen, Betrugsversuche zu entdecken und zu unterbinden, steht außer Frage – schon aus Eigeninteresse, um die Qualität des Angebots sicherzustellen (für ausführliche Vorschläge zu Handlungsmaßnahmen siehe [5]).
Die Entwicklungen verlangen aber auch von den wissenschaftlichen Autor:innen erhöhte Wachsamkeit bei der Manuskripteinreichung. Zudem sollten Artikel in „highjacked journals“ nicht zitiert werden. Beides setzt voraus, dass hier ein Bewusstsein für das Thema vorhanden ist [10].
Bibliotheken müssen bei der Pflege ihrer Nachweissysteme zusätzliche Sorgfalt an den Tag legen und die Legitimität von Zeitschriftenseite kritisch hinterfragen.
Leser:innen von Zeitschriftenartikeln müssen sich eine stärkere Skepsis aneignen und Zeitschrifteninhalte und die dort referierten wissenschaftlichen Ergebnisse kritisch hinterfragen. Betreiber:innen von seriösen Open-Access-Publikationsangeboten sollten das Thema ebenfalls im Blick haben, um im Falle von Kaperungsversuchen handlungsfähig zu sein – insbesondere kleinere Anbieter und solche, die Nischen bedienen, scheinen hier besonders gefährdet [5]. Zudem wird von Fällen berichtet, bei denen Webauftritte mit betrügerischen Absichten für Zeitschriften erstellt wurden, die lediglich im Print erscheinen [11].

[1] https://www.publisso.de/open-access-beraten/faqs/predatory-publishing

[2] https://retractionwatch.com/the-retraction-watch-hijacked-journal-checker/

[3] https://doi.org/10.1111/isj.12481

[4] [https://www.science.org/content/article/leading-scholarly-database-listed-hundreds-papers-hijacked-journals

[5] https://doi.org/10.1002/asi.24855

[6] https://scholarlykitchen.sspnet.org/2024/01/09/trust-in-scholarly-publishing/

[7] https://doi.org/10.1007/s00038-019-01284-3

[8] https://blog.scopus.com/posts/scopus-will-remove-the-source-homepage-links-from-all-source-details-pages

[9] https://retractionwatch.com/2023/12/28/elseviers-scopus-deletes-journal-links-following-revelations-of-hijacked-indexed-journals

[10] https://doi.org/10.24136/eq.2023.028

[11] https://doi.org/10.1002/leap.1590

DOI (Digitalausgabe): https://doi.org/10.48664/qbe3-mp68

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