von Lea Schindler, Auszubildende bei ZB MED als Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste im 3. Ausbildungsjahr
Es begab sich an einem Donnerstagmorgen am Joseph-DuMont-Berufskolleg, der Berufsschule für den Ausbildungsbereich Fachangestellte(r) für Medien und Informationsdienste (FaMI). Ich war noch richtig geschafft von der Zwischenprüfung, als uns unser Lehrer für Spezielle Betriebslehre – kurz SBL – in der ersten Schulstunde mitteilte: „So, Ihr habt euch jetzt wirklich genug erholt, es wird Zeit das ihr wieder was tut. Zeit für die Projektarbeit!“
Projektarbeit? Jetzt?
Nach mehreren Wochen intensivem Lernen und Wiederholen des Lehrstoffes der vergangenen anderthalb Jahre, in denen wir über Papieren und Unterlagen brüteten, sollten wir jetzt in Gruppenarbeiten ein Projekt erarbeiten? Hm… neee. Eigentlich hatte da keiner von uns Lust drauf. Zumindest waren wir alle unterschiedlich stark motiviert. Aber es ist für das zweite Halbjahr des zweiten Ausbildungsjahres nach der Zwischenprüfung so vorgesehen.
Ich gehörte im Übrigen eher der unmotivierten Gruppe an. Unser SBL-Lehrer versuchte gut gelaunt uns zu einer offenen Diskussion zu bewegen, um mögliche Themen zu erörtern. Zu seinem Verdruss blieben 18 Erwachsene vor ihm sitzende Menschen, sehr still. „Vielleicht stelle ich Ihnen einfach einige Projekte der vergangenen Jahre vor“, murmelte er, ging zur Tür und verschwand Richtung Lehrerzimmer.
Als hätte man einen Schalter umgelegt, fingen einige meiner Mitschülerinnen und Mitschüler an, laut zu überlegen. Wir durften uns jedes Thema aussuchen, was wir wollten. Es gab keinerlei Vorgaben, was es mir irgendwie schwer machte, mich für etwas zu erwärmen. Ich hatte mehrere Wochen vor der Zwischenprüfung Lern-Urlaub genommen, etwas, was vielleicht übertrieben gewesen war. Doch ich bin kein entspannter Prüfungsmensch, habe den größten Teil des Tages am Schreibtisch gesessen und versucht, mir alles Wissen einzuverleiben. Die restliche Zeit starrte ich aus dem Fenster und fragte mich, ob das alles überhaupt nötig ist.Ich fühlte mich schlapp und energielos. Einigen meiner Mitschülerinnen und Mitschülern ging es genauso. Sie schauten ebenso müde drein.
Unser SBL-Lehrer kam zurück, eine riesige Tüte in den Händen, aus der viel Papier und ein Karton heraus ragten. Er ließ alle Projektarbeiten herumgehen und wir konnten uns alles anschauen. Doch Ideen, was ich jetzt machen wollte, kamen mir daraufhin auch nicht in den Sinn. Gut, dass ein paar andere auf einmal gesprächig wurden. Wir bekamen letzten Endes fünf größere Themen an die Tafel geschrieben:
- Nachhaltigkeit (etwas für die Welt tun)
- Bienen, Natur
- Schul-Chronik
- Ein FaMI-Lehrbuch mit nützlichen Schaubildern, welche wir gerne vor der Zwischenprüfung gehabt hätten
- FaMI-Werbung, um den Beruf bekannter zu machen mit Postern oder ähnlichem
Ein paar Leute wurden richtig euphorisch und planten Projekte im Bereich Nachhaltigkeit. Was kann man alles dafür tun, worauf verzichten? Reicht es, keine Wattestäbchen und Strohhalme mehr zu verwenden?
Mir war das zu weit weg von unserem Beruf. Es bildeten sich vier Gruppen. Ich arbeitete mit an der Gruppenbildung für das FaMI-Lernmaterial, doch es entwickelte sich in eine Richtung, die ich uninteressant fand. Eine der Parallelgruppen, zu der Zeit noch bestehend aus zwei Leuten, wollte irgendwas mit Nachhaltigkeit in Bibliotheken machen. Gut, dachte ich. Das klingt doch mal praxisnah. Ich wechselte zu Lisa und Tabea und blieb damit nicht alleine. Drei weitere Mädels schlossen sich dem ehemaligen Duo an. Und das waren wir: Lisa, Tabea, Kathrin, Lisa, Diana und ich.
Bei unserem ersten Zusammentreffen Ende März standen wir bald vor einer sehr entscheidenden Frage:
Was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“?
Wir waren sehr überrascht, was wir alles damit verbanden. Von Bäumchen pflanzen, Recyclingpapier und digitaler Verwaltung bis hin zur Solaranlage auf dem Dach war alles vertreten, sodass uns schnell bewusst wurde, dass bei der Definition des Begriffs Nachhaltigkeit besonders die Aspekte Forst- und Landwirtschaft sowie die Energiegewinnung eine Rolle spielen.
Nachhaltigkeit ist ein präsentes und umstrittenes Thema, welches in allen Branchen unterschiedlich definiert und umgesetzt wird – dadurch wirkt es gleichermaßen oft etwas vage. Durch den Marketingfaktor Nachhaltigkeit kommen wir im Alltag mit den verschiedensten Pseudonymen wie “Go/Think Green”, “Fair Trade” oder Kombinationen mit dem Wort “Öko”, “Up/Down-Cycling” in Kontakt. Man könnte fast davon sprechen, dass einige dieser Begriffe von der Werbebranche zunehmend missbraucht werden.
Uns wurde klar: Wir brauchen mehr Informationen und Anregungen.
Zwei aus unserer Gruppe widmeten sich der Monografie „The Green Library“, dem von der International Federation of Library Associations and Institutions verfassten „Toolkit“, um Bibliotheken dazu zu motivieren, an der UN Agenda 2030 mitzuarbeiten. Uns gefiel der Aufruf der IFLA, mit dem sie Bibliotheken dazu auffordert, sich national zusammenzuschließen, um zu der Entwicklung beizutragen und zu zeigen, dass sie auch wirtschaftlich wertvolle Partner sind. Doch die sehr kompakte Agenda der IFLA war nach unserem Geschmack etwas zu kompakt und es gab keine konkreten Umsetzungsvorschläge.
Das wäre doch eine Idee! Wir könnten einen Leitfaden verfassen, mit praktischen Ideen und Anregungen, um nachhaltig in den Einrichtungen zu arbeiten.
Nun fragten wir uns, ob es Bibliotheken gab, die sich bereits für das Thema engagierten. Wir verfassten einen Fragebogen. Dann begannen wir, Listen zu erstellen mit Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken und diesen unseren Fragebogen zuzusenden. Gemeinsam erstellten wir ein Email-Konto. Von nun an sollte alles über „projekt.nachhaltigkeit.jdbk.com“ laufen, damit unsere Anfrage nicht direkt in einem Spam-Ordner landet. Die Deadline betrug drei Wochen, denn viel Zeit hatten wir nicht. Ende Mai war bereits Projektabgabe. Der Fragebogen wurde anonym behandelt, denn wir wollten nicht, dass die Teilnehmenden mit ihrem Namen eine Position beziehen müssen, sonst würden nicht viele mitmachen.
Gut. Nun hatten wir eine feste Vorstellung davon, zu was das Ganze führen sollte. Bei sechs Leuten war die Einteilung in Zweier-Gruppen am einfachsten. Wir korrespondierten über eine Messenger App und legten unsere Dateien in einer Cloud ab, telefonierten auch ab und an. Jedes Duo hatte seinen Arbeits- und Recherchebereich. Zwischendurch beschäftigten uns natürlich auch Fragen wie „Was haben wir denn in Bibliotheken damit zu tun?” oder „Glauben wir, dass Bibliotheken in Sachen Nachhaltigkeit eine Rolle spielen können und / oder sollten?“ Die meisten solcher Fragen packten wir auch in den Fragebogen.
Von den knapp 300 angefragten Bibliotheken antworteten uns etwas über 50. Das kam mir unglaublich wenig vor, fast schon mickrig. Interessierten sich unsere „Kolleginnen und Kollegen“ denn nicht für die Umwelt? Ein Gespräch mit einer Freundin, welche im Bereich Kunden- und Produkt-Akquise tätig ist, machte mir bewusst, dass es eigentlich sogar eine sehr hohe Rate für Rückantworten war. Denn wie häufig klickt man bei Umfragen – noch dazu per Mail – nicht einfach nur auf den Papierkorb?
Auf unsere Umfrage kamen die unterschiedlichsten Antworten zurück. Wir erstellten Ordner, um die Übersicht zu bewahren und um sie nach und nach auszuwerten. Dies nahm mit die meiste Zeit in Anspruch: Das Einteilen und sich vor Augen führen, ob uns das, was da stand, nutzte. Bei der Analyse konnten wir hilfreiche von „nicht-so-hilfreichen“ Mails unterscheiden. Wir diskutierten auch einige der Antworten offen in der Gruppe und erstellten für uns eine Treppchenvergabe:
- Richtig tolle Antworten – die uns nur in Staunen versetzten.
- Hilfreiche Antworten – die sich wiederholten aber auch dadurch nützlich waren.
- Einfach nur: nicht hilfreich.
Es machte uns sprachlos, welche schönen nachhaltigen Ideen bereits im Bibliotheksalltag integriert worden sind.
Wir bewunderten auch die Fotografien, die teilweise mitgesendet worden waren. Zum Beispiel einen Tannenbaum aus alten Büchern als Weihnachtsdekoration zu nutzen, anstatt neue Deko-Artikel zu kaufen und die Bücher einfach zu entsorgen. Oder die Tütenkugel! Mehr dazu im Leitfaden… Uns wurde vieles bereitwillig zur Verfügung gestellt. Einige Bibliotheken waren neugierig, wie wir auf die Idee kamen. Und doch waren auch Mails dabei, wo man sich bei der Beantwortung bedeckt gehalten hat. Uns als angehendes Bibliothekspersonal fiel leider auch auf, wie häufig wir Absagen aufgrund von Personalmangel erhielten. Überraschenderweise bekamen wir sogar richtig unfreundliche Kommentare zurück, die unser Projekt für absolut überflüssig erklärten. Wir nahmen es mit Humor, denn es war schließlich die Ausnahme und nicht die Regel.
Die Struktur des Leitfadens war schnell ausgearbeitet. Mitte der vierten Woche begannen wir mit dem Formulieren. Wir diskutierten über Bilder, die wir dafür nutzen wollten, und fanden Gefallen am Stöbern auf verschiedenen Stockfoto-Seiten.
Zum Ende des Projektes gehörte es dazu, das Erarbeitete nicht nur abzugeben, sondern den Verlauf des Schaffens in einer Präsentation vor der Klasse vorzustellen. Ich hatte das Vergnügen, mit meiner Partnerin Kathrin die PowerPoint-Präsentation vorzubereiten. Um ehrlich zu sein, ich hasste PowerPoint. Ich musste zuvor nie groß damit arbeiten und fühlte mich überfordert. Kathrin dagegen war ein Ass! Sie brachte mir viel bei und ich bin dankbar, für die Geduld, die sie mir entgegenbrachte. Ich war keine einfache Schülerin!
Bevor wir den Leitfaden an die zuvor angeschriebenen Bibliotheken senden wollten, las jede von uns ihn bestimmt noch zehn Mal durch. Wir nahmen an, dass wir unser Projekt zur Zufriedenheit fertig gestellt hatten und ihn stolz unserem SBL-Lehrer übergeben konnten. Doch Überraschungen gibt es immer. Tatsächlich fiel erst einige Wochen nach Abgabe des Leitfadens auf, dass uns ein urheberrechtlich geschütztes Bild durchgegangen ist. Hui, war das peinlich. Nachdem wir das Foto entfernt hatten, beschlossen wir, ein gemeinsames Bild an die Stelle zu setzen sowie ein Gruppenbild im Impressum zu positionieren und sind jetzt stolzer als zuvor.
Nie hätten wir erwartet, dass unser kleines Schulprojekt großes Aufsehen erregen würde. Ein begeistertes Mitglied des Netzwerkes Grüne Bibliothek sendete unseren Leitfaden an die Chefredaktion von „BuB – Forum Bibliothek und Information“ mit einer Publikationsempfehlung. So bekamen wir die Chance, Autorinnen in einem waschechten Fachmagazin für Bibliotheken zu werden. Der Artikel erscheint in einer der nächsten Ausgaben. Und hiermit nochmal Dank an alle, die uns so fantastisch unterstützt haben!
You know – Communication is key!
Zum Leitfaden „Nachhaltigkeit in Bibliotheken“
Weiterführende Links:
„The Green Library – die Grüne Bibliothek“, IFLA Publications Series 161
Netzwerk Grüne Bibliothek
DOI (Digitalausgabe): https://doi.org/10.48664/9032-nm48