Vom 15. Oktober 2016 bis zum 26. März 2017 zeigt ZB MED in der Hauptbibliothek in Köln die Ausstellung „Hermann Schaaffhausen zum 200. Geburtstag“. Die Ausstellung präsentiert Originalfunde, Dokumente und weiteren Objekte und gibt so einen Einblick in das Leben und Werk des Bonner Anthropologen. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem LVR-LandesMuseum Bonn, wo sie bis zum 15. Oktober 2016 zu sehen war.
Den Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung hielt Priv.-Doz. Dr. Ralf W. Schmitz, Wissenschaftlicher Referent für Vorgeschichte des LVR-LandesMuseums Bonn, der gemeinsam mit Dr. Ursula Zängl, Stellvertretende Direktorin von ZB MED, die Ausstellung kuratiert hat. Im Eröffnungsvortrag gibt Dr. Schmitz einen Einblick in die Entstehung der Ausstellung und einen Überblick über die Bedeutung Schaaffhausens für die Wissenschaft:
„Die Idee zu dieser Ausstellung entstand vor mehreren Jahren aus einer Zusammenarbeit zwischen ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften und dem LVR-LandesMuseum in Bonn. Frau Dr. Ursula Zängl, stellvertretende Direktorin von ZB MED und Mitkuratorin der Ausstellung, hat ihre wissenschaftsgeschichtliche Dissertation über Leben und Werk Hermann Schaaffhausens verfasst und nicht nur dabei einen enormen Fundus zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts zusammengetragen.
Ein zweiter Handlungsstrang begann 2006 im Umfeld der Jubiläumsausstellung zum 150. Jubiläum der Entdeckung des Urmenschen aus dem Neandertal. Zu dieser Zeit entdeckte unsere Bibliothekarin Susanne Haendschke, ebenfalls Schaaffhausen-Mitkuratorin, im Buchbestand des Landesmuseums einige Bände der verloren geglaubten Bibliothek Schaaffhausens. Inzwischen sind daraus über 170 Titel geworden.
Der dritte Handlungsstrang ist in meinen eigenen Arbeiten am Neandertaler und an seiner Fundstelle begründet. Immer wieder beschäftige ich mich mit den Schriften meiner wissenschaftlichen Vorgänger, der Name Schaaffhausen taucht dabei überproportional häufig auf und man wird neugierig. Wer war Hermann Schaaffhausen?
Geboren wurde er am 19. Juli 1816 als Sohn eines wohlhabenden Fabrikanten in Koblenz. Bereits in seiner Schulzeit beschäftigte er sich mit naturgeschichtlichen Fragen. Viele weitere Anregungen erhielt er während seiner Studienjahre in Bonn und Berlin. In der Hauptstadt erfolgte 1839 die Verleihung des Doktortitels, auch legte er hier im Folgejahr die Ärztliche Staatsprüfung ab. Schaaffhausen war nun Anatom, Anthropologe, Mediziner – die Fachgrenzen waren damals nicht so deutlich wie heute.
Schaaffhausen ist ein Kind des 19. Jahrhunderts, eines Jahrhunderts, das wie kaum ein anderes für Aufbrüche und Umbrüche steht. Viele große Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen wirkten im 19. Jahrhundert oder legten den Grundstein für ihre Erfolge in dieser Zeit. Zu Ihnen zählen Max Planck und Albert Einstein in der Physik, Robert Koch in der Mikrobiologie, das Röntgen wurde entdeckt, lenkbare Luftschiffe entwickelt, das Automobil konzipiert, der Grundstein für den Flugzeugbau gelegt, der Schiffbau revolutioniert, das erste Transatlantikkabel verlegt. Jules Verne schrieb über phantastische Dinge wie etwa einen Flug zum Mond oder von einem U-Boot, das unter dem Polareis hindurch taucht, Rudolf Virchow verfasste seine Cellularpathologie, Heinrich Schliemann fand Troja, Charles Darwin veröffentlichte sein Werk zur Evolutionstheorie, Sir Charles Lyell revolutionierte die Geologie, Lois Agassiz verstand die Eiszeitgletscher…
In diesem Jahrhundert wurde Europa aber auch neu geordnet, Deutschland fand seine Einheit, tragischerweise im Spiegelsaal von Versailles, was bereits den Keim zu weiteren Konflikten in sich trug. Die industrielle Revolution entwickelte Landschaften und verwüstete andere mit dem neu erfundenen Dynamit, wie zum Beispiel das Neandertal, zuvor an Naturschönheit auf Augenhöhe mit der schweizerischen Via Mala. Ein zuvor unbekannter Hunger nach Energie führte zu einer maßlosen Befeuerung aller Ideen mit fossilen Brennstoffen. Ja, auch der sich heute abzeichnende Untergang weiter Küstenlandschaften durch den Anstieg des Meeresspiegels wurzelt in dieser Epoche des Aufbruchs.
Sehr früh entwickelte Hermann Schaaffhausen seine Leidenschaft für Altertümer. Diese verstärkte sich nach seiner Rückkehr aus Berlin an den Rhein und der Habilitation in Bonn bald hin zu den frühen Zeugnissen der Menschheitsgeschichte. Wenn man mag, könnte man ihn letztlich als Mediziner, Anatom und Prähistoriker bezeichnen. Als Professor der Universität Bonn hielt er ab 1845 bis zu seinem Tod 1893 attraktive und gut besuchte Vorlesungen.
Schon in den frühen 50er Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, ob die Arten der Tier- und Pflanzenwelt wirklich unveränderlich sind, wie es die gängige Lehrmeinung vorgab. Seine Überlegungen münden im 1853 erschienenen Werk „Ueber Beständigkeit und Umwandlung der Arten“. Charles Darwin bezeichnete es einige Jahre später als „an excellent pamphlet“.
Hierin schreibt Schaaffhausen über die Veränderung von Arten in der Zeit, nimmt Umweltfaktoren als Auslöser an und nennt als Zeitraum für die Veränderungen mehr als 100.000 Jahre – unerhört aus dem Blickwinkel der meisten Zeitgenossen, in deren Augen die Welt vor gerade einmal 6000 Jahren erschaffen worden war. Auch bezieht er, anders als Darwin, den Menschen bereits 1853 deutlich mit ein. Er glaubt an die heftig umstrittene Gleichzeitigkeit von Mensch und ausgestorbenem Mammut, und, nun wird es noch spannender, er sieht Belege für eine ausgestorbene Menschenform, die urtümlicher war als der heutige Mensch – unerhört aus der Weltsicht zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Dies geschieht, wohlgemerkt, bereits vor der Entdeckung des Skelettes aus dem Neandertal. Dieser Fund trat im Winter 1856 / 57 mit aller Wucht in sein Leben und hat es für immer verändert.
Der Naturforscher Johann Carl Fuhlrott übertrug ihm die Untersuchung der wenige Monate zuvor entdeckten Skelettreste aus dem Neandertal. Diese waren damals noch Bestandteil der Sammlung Fuhlrotts in Elberfeld. Schaaffhausen ordnete die Knochenreste zusammen mit anderen Funden, wie dem Schädel von Gibraltar, korrekt einer urtümlichen Menschenform zu. Der Fund aus dem Neandertal geriet zum Kristallisationspunkt der oft polemisch geführten Kontroverse um die Existenz fossiler Menschen, die bald alle Gesellschaftsschichten erfasste. Schaaffhausen präsentierte den Neandertaler auf zahlreichen internationalen Kongressen und bewirkte, dass sich Koryphäen wie der Geologe Sir Charles Lyell und der Zoologe Thomas Henry Huxley an der Diskussion beteiligten. Hierdurch erhielt der Neandertaler, ausgehend von den Britischen Inseln, eine faire Chance der Anerkennung.
Der größte Kontrahent Schaaffhausens in der Diskussion um den Neandertaler war der Mediziner Rudolf Virchow. Er hatte 1872 alle Skelettunterschiede zwischen Neandertaler und heutigem Menschen für krankheitsbedingt erklärt. Mit dieser Fehleinschätzung behinderte er aufgrund seines enormen Einflusses die inländische Forschung bis zu seinem Tod im Jahre 1902 erheblich. Somit war das Verhältnis der beiden Wissenschaftler nicht gerade herzlich zu nennen.
Nach Fuhlrotts Tod 1877 planten die Erben den Neandertaler zu verkaufen. Es lag bereits ein gutes Angebot aus England vor. Da unser Museum nicht über die benötigten Geldmittel verfügte, sprang Hermann Schaaffhausen ein. Die erforderliche Summe von 1.000 Goldmark bestritt er aus seinem eigenen Vermögen. Seither ist der Neandertaler das bedeutendste Exponat des Landesmuseums. Die Präsenz des Fundes in Bonn ermöglichte es Schaaffhausen, in Ruhe sein 1888 erschienenes Abschlusswerk „Der Neanderthaler Fund“ vorzubereiten.
Ebenfalls auf Schaaffhausen zurück geht der kleine Vogel von Andernach. Eiszeitjäger hatten ihn vor fast 16.000 Jahren aus Ren-Geweih geschnitzt. Hermann Schaaffhausen grub den Rastplatz der Jäger auf dem Martinsberg in Andernach 1883 aus und zog anhand der Steinwerkzeuge korrekte Parallelen zur eiszeitlichen Kultur des Magdalénien in Frankreich. Über den Vogel schreibt er: „Das schönste Schnitzwerk … ist ein unteres Geweihstück vom Rennthier, welches zu einem Vogel geschnitzt ist. … Es sind zwei Perlen der Krone des Geweihs benützt, um die Augen des Vogels darzustellen, dessen Schnabel an der Wurzel breit, gerade und spitz ist, die Federn des Kopfes sind wie zu einer Haube aufgerichtet. Flügel und Schwanz sind mit Längsstrichen deutlich angedeutet.“ Diese Zeilen erheben ihn zum Entdecker der Eiszeitkunst im Rheinland.
Aber auch abseits des engeren Fachzirkels war Hermann Schaaffhausen sehr aktiv und, wie man heute sagen würde, gut vernetzt. So hatte der junge Kronprinz Wilhelm in seiner Bonner Studienzeit Vorlesungen bei Schaaffhausen gehört und war gerngesehener Gast in der Villa Schaaffhausen in Bad Honnef. Als Kaiser Wilhelm II kehrte er gerne hierher zurück, manchmal mit seiner Gattin, die beiden hatten ein eigenes „Kaiserzimmer“ in der Villa. Dasselbe gilt für das schwedische Königspaar und einige andere Vertreter des europäischen Adels. Männer wie Schaaffhausen konnte Preußen natürlich gut gebrauchen, um das Rheinland vielleicht doch noch in den Griff zu bekommen …
So gehörte er denn auch ab 1874 zur Gründungskommission der Provinzialmuseen in Trier und Bonn, Vorläufer der heutigen Rheinischen Landesmuseen. Bei diesen Museen handelt es sich um politische Geschenke des fernen Berlin an die Rheinprovinz, die damals bis in das nördliche Saarland reichte – mit erfreulichen Folgen für unseren archäologischen Sammlungsbestand.
Schaaffhausen als Begründer der Urmenschenforschung in Deutschland verstand es sogar, Evolutionslehre und katholischen Kirchenvorstand in einer Person zu vereinen. Auch war er ein engagierter Förderer des kulturellen Lebens in der Region. Nach Anfangsschwierigkeiten feierte man im August 1845 das erste Beethoven-Fest. Schaaffhausen gehörte dem Festkomitee an, führte die Korrespondenz und wirkte am Programm mit. Auch gründete er ein Komitee zur Errichtung eines Denkmals für Robert Schumann. In seiner Rede zur Einweihung 1880 hob er die Bedeutung der Musik als Kunstform hervor. In der Rede schwingen aber auch starke persönliche Emotionen mit. Diese finden sich auch in einer Bauinschrift eines Rundbaus im Garten seiner Villa in Bad Honnef, hier in klarem Bezug zu seiner plötzlich und zu früh verstorbenen Frau. Anna Lorenz scheint die Liebe seines Lebens gewesen zu sein, denn Hermann Schaaffhausen hat sich trotz aller Kontakte und Möglichkeiten nie mehr gebunden.Hermann Schaaffhausen starb am 26. Januar 1893 in Bad Honnef und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Alten Friedhof in Bonn beigesetzt.
Viele Informationen über Leben und Werk Schaaffhausens finden sich im Internetportal von ZB MED. Gleiches gilt für die wiederentdeckten und digitalisierten Bände aus der Bibliothek Schaaffhausens. Das Portal bleibt auch nach der Laufzeit der Ausstellung dauerhaft aktiv und wird fortlaufend ausgebaut und ergänzt.
Eine solche geplante Ergänzung ist zum Beispiel ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Kartei Hermann Schaaffhausens. Sie ist mit einer schönen Geschichte verbunden. Mein Kollege Hoyer von Prittwitz stand vor knapp zwei Jahren in meiner Bürotür mit den Worten: „Du interessierst Dich doch für Schaaffhausen, das hier ist was für Dich“. Es verschlug mir bereits bei der ersten Sichtung die Sprache, denn in dem überreichten Archivkasten befanden sich zahlreiche Karten mit Fotos und Zeichnungen anthropologischer Fundstücke, allesamt mit Beschriftungen aus der Feder Schaaffhausens. Diese werden nun gesichtet, digitalisiert und in das Portal integriert.
Die Realisierung der Ausstellung wäre natürlich nicht möglich gewesen ohne das Team von ZB MED und des LandesMuseums. Wir hatten aber auch sehr wohlwollende Leihgeber. Danken möchte ich
- der Universitäts-und Landesbibliothek Bonn,
- den Stadtarchiven in Koblenz und in Bonn,
- dem Preußen-Museum-Minden,
- dem Anatomischen Institut der Universität Bonn
- sowie der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
Ich wünsche der Ausstellung und damit Hermann Schaaffhausen eine gute Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.“
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